Lamsenjochhütte

August 9, 2020

Ein megageiles Wochenende liegt hinter mir. Ein Wochenende, an dem ich wieder ein Stück über mich selbst hinausgewachsen bin, aber mir auch ein Scheitern eingestehen musste… oder war es gar kein Scheitern?

Aber von Anfang an: Mein Bergbuddy Martina und ich nahmen uns vor, am Samstag die Lamsenspitze und am Sonntag den Hahnkampl und das Sonnjoch zu besteigen mit Übernachtung auf der Lamsenjochhütte.

Als wir losgingen um 9.00 morgens war es schon elend heiß und unsere Rucksäcke waren mindestens ebenso elend schwer. Da es „zur Zeit“ keine Decken auf den Hütten gibt und somit ein dünner Hüttenschlafsack nicht ausreicht, musste mein Glacier Daunenschlafsack mit. Und außerdem hatten wir jeder ein Klettersteigset, Helm und 3 l Wasser im Gepäck.

Der sehr steile, in vielen Serpentinen verlaufende Anstieg hat wenigstens eine Nord-Exposition, so dass wir größtenteils im Schatten aufsteigen konnten.

Auf der Lamsenjochhütte angekommen entluden wir unsere Rucksäcke, stärkten uns und ich begann mich mental auf meinen ersten Klettersteig hoch zur Lamsenspitze 2508m einzugrooven. Es ist ein C-Klettersteig, also nicht ganz trivial, aber ich bin ja sportlich, beweglich, trittsicher und schwindelfrei…

Die Ansicht von unten ist atemberaubend. Und es ist irgendwie unvorstellbar, dass man diesen Berg besteigen kann. Das Kar unterhalb der Felsen ist von hier betrachtet super steil und die Spitze ragt weit, weit in den Himmel. Aaaaber ein Hang erscheint bei der Draufsicht von unten immer steiler als er in Wirklichkeit ist (!) und den Gipfel erreicht man nicht auf dem direkten Weg, sondern der Einstieg in den Klettersteig ist weiter links, man durchsteigt das Felsmassiv über den sogenannten Brudertunnel und erklimmt ihn von der Rückseite… was sich aber auch nicht als wirklich einfach herausstellte.

Die Bilder sprechen für sich… es geht senkrecht nach oben… muss man mögen! Die positive Nachricht ist, dass ich mich tatsächlich immer mehr drauf einlassen konnte und es irgendwann sogar genossen habe, mich gesichert immer höher und höher zu „schrauben“. Apropos Sicherung… so ein Klettersteigset ist eine Sicherung gegen den tödlichen Absturz in die Tiefe… hineinfallen möchte ich trotzdem nicht! Das kann seeehr schmerzhaft sein und auch größere Verletzungen nach sich ziehen.

Dieser Klettersteig war ein klares „Raus aus der Komfortzone!“… ich habe es einfach GETAN! Das Interessante war, was das mit mir gemacht hat. Durch das „next level“, habe ich gemerkt, dass ich mehr kann, als ich mir so manches Mal zutraue. Das war eine tolle Erfahrung. Ich bin ein Stück über mich hinaus gewachsen.

Dann durchstiegen wir beim Brudertunnel die Felswand… ich an der Schlüsselstelle mit einem Kraftschrei, denn eigentlich hatte ich gar nicht so viel Kraft in den Armen, um mich dort hoch zu ziehen, aber ich war am Punkt des „no return“… es gab keine Alternative. Und länger an der Stelle verweilen, um zu überlegen, ob oder ob nicht oder wie und wann etc. pp ging auch nicht. Es war zu eng, zu steil, zu unbequem!

Fällt Euch etwas auf? Jaa… mal wieder eine Analogie zum Leben! Wir hadern oft viel zu lange, drehen und wenden uns, wägen ab, machen pro und contra Listen, machen ein kleines Schrittchen nach vorne, um dann wieder 2 Schritte zurück zu gehen. Und das obwohl wir ahnen, dass uns etwas ganz Besonderes erwartet.

Und so war das am Ende des Tunnels auch. Beim Ausstieg traute ich meinen Augen kaum. Die Bergkulisse, die gewaltige Natur, die Einsamkeit und die Schönheit war der Hammer. Das Feeling dort zu stehen, nach dieser Anstrengung… unbeschreiblich! Bisschen Pipi in den Augen. Aber wir waren ja noch nicht am Gipfel.

Über ein langgezogenes Schotterfeld stiegen wir weiter zum nächsten Felsen, den es zu überwinden galt. Dann der Einstieg… ich war jetzt viel klarer, fokussierter, konnte mit dem Material schon viel besser umgehen und ich war unaufhaltbar. Die ersten 20 m verliefen schon gleich viel routinierter als ganz am Anfang.

Und dann kam sie! Eine Stelle, die zwar isoliert betrachtet nicht schwerer war, als das, was ich schon hinter mir hatte, aber dennoch kam ich plötzlich ins Stocken. Auf einmal schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich hier auch wieder runter musste. Dazu muss man wissen, dass steile Abstiege generell und Felswände insbesondere, bergab schwerer sind als bergauf. Ich bekam Sorge, dass mir die Kraft für die letzten 250 hm nicht mehr ausreichen könnte. Und vor allem von hier auch noch den ganzen Abstieg bis zur Hütte über ein Schotterkar zu bewätigen war.

Was sollte ich tun? Als erstes fragte ich Bergsteiger, die uns von oben entgegen kamen, wie es denn hier weiter gehen würde. Die Antworten waren alle ähnlich. Es sind noch mehrere Passagen zu überwinden, aber diese hier sei die schwierigste, danach wird es leichter. Und im Übrigen hätte ich den Löwenanteil der gesamten Tour sowieso schon bewältigt.

Es sprach einiges dafür, noch einmal „alles zu geben und dran zu bleiben!“ Aber in den Bergen ist das so eine Sache… hier liegt vielleicht ein Unterschied zum „normalen“ Leben. Man muss noch viel eher seine Grenzen kennen, weil man hier mit seinem Leben und dem anderer spielt, wenn man womöglich gerettet werden müsste.

Ihr ahnt es schon… ich habe abgebrochen! Und es hat weh getan! Ich habe es irgendwie als Scheitern empfunden. Ich war traurig, hatte Tränen in den Augen. Gleichzeitig war ich aber auch stolz, dass ich in der Lage bin, die Situation realistisch einzuschätzen und nicht übermütig zu werden. Es war ein Gefühlschaos… ich wäre soooo gerne auf dem Gipfel gewesen.

Mit gemischten Gefühlen (ich) stiegen wir ab. Auch hier kamen noch ein paar leichtere Kletterstellen, also schon auch noch einmal Passagen, die Konzentration und Kraft erforderten. Und dann kam meine Lieblingsstelle… ein langes Schotterkar, das man „Abfahren“ kann. Man macht Riesenschritte und rutscht absichtlich mit den Steinen talwärts. Fühlt sich an wie Skifahren und das kann ich ja nun am allerbesten.

Als wir um 17.00 wieder an der Hütte ankamen waren wir froh, dass wir nicht noch weiter gegangen sind, da wir sonst zeitlich in Schwierigkeiten gekommen wären. Es hat immer alles etwas Gutes. Der Abend auf der Hütte war mega… wir haben tolle Leute kennengelernt und super interessante, inspirierende Gespräche geführt.

Der nächste Tag: Ziel war das Sonnjoch 2458m. Dazu mussten wir über den Hahnkampl 2080m, mit dem Hasenfuß, dass wir nach dem Hahnkampl wieder 200 hm absteigen mussten, um dann noch einmal 600 hm aufzusteigen. Wieder alles im Gepäck… das Klettersteigset und 3 Liter Wasser. Es war 8.00 und noch heißer als am Vortag. Der Weg lag in der Sonne… puuuhhhh!

Mein Bergbuddy hatte heute nicht den allerbesten Tag und ließ verlauten, dass wir es uns ja noch offen halten könnten, ob wir beide Gipfel machen. War für mich o.k., denn ein Hitzschlag oder Dehydrierung bringt ja auch keinem was.

Nach dem Hahnkampl in der Senke vor dem Sonnjoch beratschlagten wir. Und ich hatte ganz spontan den absoluten Wunsch heute nicht „aufzugeben“, denn zweimal hintereinander ein gestecktes Ziel nicht erreichen, war für mich keine Option, zumal über uns und über dem Gipfel gerade eine riiieeesige, schattenspende Wolke verweilte.

Martina wollte lieber die Bergwelt auf der Almwiese genießen, was für mich völlig in Ordnung war, und so trat ich alleine den mir unbekannten Weg zum Gipfel an. Ich wollte schnell sein, damit Martina nicht zu lange warten musste. Für 600 hm kann man schon 2 Stunden brauchen… ich stieg und stieg konzentriert und ohne Pause nach oben. Der Schweiß rann mir in Bächen runter. Und der Weg wurde sehr schnell steil und sandig… so wie ich ihn gar nicht mag, denn hier ist Rutschgefahr beim Abwärtsgehen.

An manchen Stellen überkam mich eine leichte Angst, wenn ich an den Rückweg dachte, aber diesmal wollte ich es wissen! Und: es schaut oft schlimmer aus, als es ist. Und so erreichte ich nach 1 Stunde und 20 Minuten mein Ziel und war überglücklich, dass ich es heute durchgezogen habe und meine Angst überwunden hatte. Dass die Aussicht wieder einmal atemberaubend war muss ich wohl nicht mehr erwähnen.

Ich habe schon öfter Berge mit so einem Schwierigkeitsgrad gemacht, aber in letzter Zeit hat sich irgendwie an manchen Stellen ein ungutes Gefühl eingeschlichen, warum auch immer. Um nicht in dieser Schleife gefangen zu bleiben habe ich mich überwunden und bin den steilen, bröseligen, rutschigen Weg voller Vertrauen in mich und meine Fähigkeiten gegangen. Ich habe mir wieder bewiesen, dass ich trittsicher bin.

Wachstum findet außerhalb der Komfortzone statt! Yeeesss!!!

Und so ist ein Wochenende voller intensiver Erlebnisse zu Ende gegangen und ich nehme für mich eine Menge Erkenntnisse mit. Es lohnt sich immer beharrlich seinen ganz eigenen Weg zu gehen. Ich lerne immer mehr auf mein Bauchgefühl zu hören und weiß, dass ich in der richtigen Richtung unterwegs bin.

Danke Martina für Deine Begleitung an diesem Wochenende und die „Betreuung“ am Klettersteig.

Dein Gipfelcoach